Wusstest du schon, dass 2016 etwa 3177 rassistische Hass-Postings im Internet erfasst wurden? Wusstest du schon, dass bereits mehrmals Anschläge auf die Alte Synagoge geplant waren, die die Polizei zum Teil erst in letzter Sekunde vereiteln konnte? Wusstest du schon, dass fast 75% der homosexuellen Jugendlichen Angst haben, nach einem Coming Out von Familie und Freunden abgelehnt zu werden?
Mit diesen Fakten wurde die Schulgemeinschaft des Leibniz-Gymnasiums am 08. Juni 2017 im Rahmen eines Aktionstages der Anti-Diskriminierungs-AG unter anderem konfrontiert.
Unsere AG hatte sich an diesem Tag zum Ziel gesetzt, die Schulgemeinschaft für die Themen Rassismus, religiöse Intoleranz und Homophobie zu sensibilisieren und Schüler sowie Lehrer zum Widerstand aufzurufen. Morgens wurden die Schüler mit dem Lied „Deine Schuld“ von den „Ärzten“ begrüßt. Dieses hallte lautstark durch das Schulgebäude und sorgte zu Beginn des Tages für den gewünschten Überraschungseffekt. Das Lied kam im Tagesverlauf noch an verschiedenen Stellen im Schulgebäude und auf dem Schulhof zum Einsatz.
An sämtlichen Türen des Schulgebäudes waren farbige Türschilder angebracht. In Anlehnung an das Lied war hier z. B. zu lesen „Es ist nicht deine Schuld, dass schwul ein Schimpfwort ist – es wäre nur deine Schuld, wenn du dies tolerierst“ oder „„Es ist nicht deine Schuld, dass Menschen wegen ihrer Religion schief angeschaut werden – es wäre nur deine Schuld, wenn du es verharmlost.“ So boten die Schilder bei jedem Eintritt in den jeweiligen Klassen- oder Kursraum oder auch ins Lehrerzimmer den Anlass zur Auseinandersetzung und riefen gleichzeitig dazu auf, Verantwortung zu übernehmen.
Plakate, verteilt im ganzen Schulgebäude, visualisierten Fakten zu den drei Themenbereichen. Die farbliche Kennzeichnung der Themen schuf Orientierung und ermöglichte es jedem, dem eigenen Interesse nachzugehen und nach Fakten zu einem bestimmten Themenbereich Ausschau zu halten.
An den Infoständen auf dem Schulhof wurden rege Diskussionen geführt. Sehr viele Schüler zeigten Interesse, stellten Nachfragen, berichteten von eigenen Erfahrungen oder boten ihre Unterstützung bei der zukünftigen AG-Arbeit an. Viele Lehrer ermöglichten es, die Diskussion im Unterricht zu vertiefen. Gesprächsanlässe bildeten häufig der Liedtext, der an jeder Tafel aushing, die Türschilder oder die auf den Plakaten visualisierten Fakten. Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Lehren, die diese Diskussionen in ihrer Unterrichtszeit zuließen und bei allen Schülern, die engagiert diskutierten und von ihren eigenen Erfahrungen im Verlauf der Schulzeit oder aus ihrem Alltag berichteten. Aus den Diskussionen ging häufig hervor, dass wir grundsätzlich ein tolles, respektvolles, offenes und buntes Schulklima haben. Zugleich wurde deutlich, dass der sogenannte „Alltagsrassismus“ auch vor unseren Schultüren keinen Halt macht. Schüler berichteten von verschiedenen Situationen, in denen rassistische oder homophobe Bemerkungen zutage kamen, die im Anschluss meistens als „Scherz“ heruntergespielt wurden – für die Beteiligten aber alles andere als witzig sind! Es ist wichtig, dass auch solche Schulsituationen zur Sprache kommen und wir hoffen, dass Schüler wie Lehrer solchen Situationen zukünftig mehr Aufmerksamkeit schenken und deutlich gegen Rassismus, religiöse Intoleranz und Homophobie Partei ergreifen.
Am Abend fand in Kooperation mit dem Projektkurs Geschichte eine Veranstaltung mit dem Buchautor Tim Pröse statt. Tim Pröse, der 1989 sein Abitur an unserer Schule machte, veröffentlichte vor kurzem sein Buch „Jahrhundertzeugen. Die Botschaft der letzten Helden gegen Hitler.“ In seiner sehr beeindruckenden Lesung berichtete Tim Pröse von seinen Begegnungen mit Berthold Beitz und dem von ihm geretteten Jurek Rotenberg. Berthold Beitz bewahrte den damals 14- Jährigen vor der Gaskammer und rette weiteren 1500 Juden das Leben.
Tim Pröse ließ uns auf eine sehr berührende Art an seinen persönlichen Begegnungen, Gesprächen und auch Anekdoten mit den Zeitzeugen teilhaben. Die Botschaft der letzten Helden gegen Hitler erschien uns Zuhörern gerade in der heutige Zeit aktueller denn je und erinnerte auch an den bedeutungsvollen Auftrag, den uns Sally Perel mit auf den Weg gegeben hat: Von nun an seid ihr Zeitzeugen. Ihr habt die Geschichte meiner Generation noch aus erster Hand gehört. Setzt euch ein – gegen jegliche Art von Diskriminierung und Fremdenhass! Übernehmt Verantwortung und verhindert, dass sich die grausame Geschichte der NS-Zeit wiederholt! Tim Pröse ist es gelungen, uns diesen Auftrag der letzten Zeitzeugen erneut sehr eindringlich nahezubringen und in der anschließenden Diskussion bestärkte er uns immer wieder in unserem Anliegen gegen das Vergessen und für eine Schule ohne Rassismus, religiöser Intoleranz und Homophobie.
Mit dem Ende der Veranstaltung ging ein eindrucksvoller Tag zu Ende, der hoffentlich noch Nachhall findet. Vor einem gut einem Jahr sind wir die Verpflichtung eingegangen „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ zu werden. Das ehrliche Interesse an unseren unterschiedlichen Aktionen, viele intensive Diskussionen und die vielfältige Unterstützung bestätigen, dass wir diesbezüglich auf einem guten Weg sind und motivieren uns neue Aktionen und Projekte in Angriff zu nehmen. Über jegliche Unterstützungen seitens der Schüler- und Lehrerschaft freuen wir uns sehr! Weiter geht es also – die Welt soll schließlich nicht so bleiben wie sie ist. Es gibt noch einiges zu tun!
Eure Anti-Diskriminierungs-AG